The incredible Thread of the most excellent Blues, Jazz and Soul Music, including indispensable remarks on History, Artists, Styles, Instruments, Records and everything else you can imagine
Eine kleine Jam Session
ZitatNow listen peoples. Everybody say... they don´t like the Blues. But you´re wrong. See the Blue-hues... come from waaay back. And I´m gonna tell you some again: The things that going on today is not the Blues. It´s just the good beat the people just caring, but now when you come down to the Blue-hues (oh my, I´m sure you have to play the Blues) now you just sit here... and watch me, um-hm.
https://www.youtube.com/watch?v=XmaJkltpxaM
Ich widme diesen Thread meiner weißen Oma Emma und meiner schwarzen Katze Snaredrum, die beide noch weit vor James Brown von uns gegangen sind.
Dieser Thread soll die großartige „Nachmusik“ sinnvoll ergänzen und abrunden. Hier soll alles zum Thema Musik hinein, bei dem es Sinn macht, daß man es leicht wiederauffinden kann. Vielleicht ist das eine liebevolle kleine Rezension eines neu erschienenen Albums, vielleicht ein Erlebnisbericht über ein schönes Konzert, das man besucht hat. Vielleicht aber auch etwas, was man kürzlich über Musik gelesen oder gehört hat. Oder was man einfach immer schon mal sagen wollte.
Unser lieber RvG hatte die Idee. Ich hatte versprochen, was zu machen. Hier ist der Kempel. Ich habe ausschließlich Informationen in die Texte aufgenommen, die ich aus gut lektorierten Büchern genommen habe, nicht etwa aus dem notorisch unzuverlässigen Internet. Die Auswahl der Daten ist natürlich gnadenlos subjektiv und oft scheint meine Interpretation der Dinge durch. Aber ich glaube nicht, daß irgendwo sonst im Netz nochmal so viele Infos zu dem Thema in einer Darstellung auf so komprimiertem Raum zusammengetragen wurden. Dieser Thread ist sozusagen mein Abschiedsgeschenk an den musikinteressierten Teil der Userschaft.
Wir sprachen in der guten alten „Nachtmusik“ darüber, daß es interessant sein würde, die Ursprünge von Blues und Jazz ein bißchen zu bequatschen und darüber zu debattieren, wo die Grenzen zwischen den beiden verlaufen. Das ist nun hier einer der „Sinne“ des Threads. Ich habe noch den Soul hinzugenommen, der sich erst später aus den beiden rausentwickelt hat, der aber gleichwohl eigenständig und bis heute (gerade heute wieder!) sehr erfolgreich ist.
Jeder und jede kann und soll hier schreiben! Man muß keine Referate halten oder über die fünfeinhalbsaitige Cherokee-Ukulele promoviert haben. Spannend wird es natürlich, wenn wir unsern je eigenen Geschmack mit in die Diskussion hineinbringen. Denn warum sollte der bitte draußen bleiben? Es geht doch um Musik, die uns gefällt.
Ich habe hier als Beispiel ein paar Namen, nur so zum Vorschlag. Künstler und Künstlerinnen, von denen ich persönlich sehr viel halte: Jeff Healey, Gregory Porter, Amy Winehouse, Till Brönner, Aaron Diehl, Sade Adu, Bobby McFerrin, Kenny Wayne Sheperd, Diana Krall, Ben Harper oder Norah Jones. Das heißt Menschen, die ein Instrument oder das Instrument ihrer Stimme beherrschen, die anspruchsvollere Harmonien und Rhythmen darbieten können und die durchaus irgendetwas mitzuteilen haben, was mit den tieferen Regungen unseres menschlichen Lebens zu tun hat.
Selbstverständlich fallen auch Musiker wie Nick Cave, die Red Hot Chili Peppers und sogar Beyoncé Knowles unmittelbar in den Themenbereich dieses Threads. Letztere macht halt nur mitleiderregend simpel komponierte und arrangierte Contemporary Soul Music. Aber das soll niemanden abhalten, über sie zu reden.
Drei Musiker möchte ich etwas genauer vorstellen, ihren Stil, ihre Schaffenphasen, ihre besten Platten: B.B. King als Vertreter des Blues, Etta James als Vertreterin des Soul und Miles Davis als den wohl bekanntesten Jazzer. Vielleicht macht Ihr ja weiter? Jeder von Euch hat doch sicher einen Liebling unter den großen Blues- und Soul- und Jazz-Künstern? Und die Ursprünge der Soulmusik habe ich sogar völlig außer Acht lassen müssen in meinen Beiträgen...
Aber vor allen soll der Thread eines: Anregen, sich mit bisher vielleicht noch unbekannter oder lange aus den Augen verlorener Musik zu beschäftigen. Mit guter Musik. Mit richtig, richtig guter Musik.
Als der amerikanische Bürgerkrieg im Sommer 1865 nach vier Jahren der Kampfhandlungen seinem Ende zuging und die Unionstruppen von Sieg zu Sieg eilten, da fochten bereits 180.000 Schwarze mit auf ihrer Seite. Sie waren aus den Südstaaten aus ihren Leibeigenschaften oder Anstellungen geflohen, unter Einsatz ihres Lebens und oft sogar unter Zurücklassung der liebsten Menschen, die sie hatten.
Mit den Schlachten von Atlanta, Nashville und abschließend vor allem Petersberg waren die konföderierten Südstaatler schließlich geschlagen. Die Bilanz der sog. Sezessionskriege liest sich heftig. Insgesamt 1.100.000 Tote und Verletzte gab es auf beiden Seiten. Davon waren fast 400.000 Soldaten nicht im Feld geblieben oder ihren Verwundungen erlegen, sondern an Krankheiten verstorben, die grassierten. Dennoch kam man auch mit dezimiertem Personal auf die stolze Zahl von ungefähr 11.000 kleinen, größeren und staatstragenden Kampfschauplätzen. Zusammen haben beide Parteien 8.300.000 Dollar in den Krieg gesteckt. Die damalige Kaufkraft dieser Summe übersteigt den gleichen Betrag im heutigen Währungssystem um ein gewaltiges Vielfaches.
Der amerikanische Bürgerkrieg sei vor allem auch deswegen geführt worden, so lernen wir es heute in der Schule, um die Sklaverei endgültig abzuschaffen. Das stimmt jedoch so nicht. Es gibt Dokumente aus der Feder Abraham Lincolns, des Führers der Nordstaaten, daß es ihm ganz allein darum zu tun war, die Union zu stärken. Wenn er dafür die Sklavenbefreiung als Ziel ausgeben müsse, schreibt er, sei ihm das genau so recht wie das Gegenteil davon. Oha.
Die Union, das war das Gründungsamerika abzüglich jener Staaten, die nach und nach aus ihr ausgetreten waren. Zu diesen letzteren gehörten South Carolina, Mississippi, Alabama, Louisiana, Georgia, Texas und Florida. Dazu kamen noch andere Staaten, die mit den Abtrünnigen sympathisierten, weil sie mit ihnen dasselbe Problem teilten: Die Gefährung ihrer von Sklavenarbeit abhängigen Feldwirtschaft.
Angebaut wurde nicht nur der Marktführer Baumwolle, der mehrere Jahrhunderte lang boomte und in alle Welt exportiert wurde, sondern auch Tabak, Zucker und sogar Reis. Alle diese Nutzpflanzen benötigen die im Süden der USA herrschenden klimatischen Bedingungen: Wärme und Feuchtigkeit. Insbesondere das Geschäft mit der Baumwolle ist eine arbeitsintensive Sache. Im April wird das Saatgut gelegt, im August und September wird geerntet. In der Zwischenzeit muß sehr darauf geachtet werden, daß die Wurzeln der Pflanzen durch Erdanhäufungen vor der Sonne geschützt werden, daß genügend Wasser da ist und daß keine Schädlinge den Ertrag bedrohen.
Mit heute kaum noch vorstellbarer Arbeitsintensität müssen bei der Baumwollernte die Baumwollfasern aus den Kapseln der Pflanze entfernt werden. Diese Arbeit wurde von Männern und Frauen gleichermaßen verrichtet. Als um das Jahr 1800 die erste (noch sehr rudimentäre) Erntemaschine, die sog. Cotton Gin, erfunden wurde, verlagerte sich das Gewicht innerhalb der Erntetätigkeiten zwar, leichter wurde die Arbeit aber dadurch nicht.
Die schwarzen Sklaven wurden zu sog. Gangs zusammengeschlossen, Arbeitsgruppen, die von einem Driver beaufsichtigt wurden, der meist auch ein Schwarzer war. Nach dem Bürgerkrieg, als die Sklaverei tatsächlich offiziell abgeschafft wurde, wandelte sich das Verhältnis der ehemaligen in Knechtschaft gefangenen Menschen auf dem Papier. Sie waren nominell frei, besaßen aber selbstverständlich selbst kein Land, das sie bewirtschaften konnten. Ihr Verhältnis zu ihren ehemaligen Herren war jetzt das von extrem eingeengten Pächtern. Sie lieferten beträchtliche Teile der Ernte des Abschnittes, den sie bebauen und bewohnen durften, ab. Den Rest „verkauften“ sie, wiederum an ihre Verpächter oder nahegelegene Baumwollhändler. Ich habe das Wort „verkaufen“ in Anführungszeichen gesetzt, denn häufig wurden sie dabei nicht einmal in handelsüblicher Währung bezahlt, sondern mit imaginiertem Geld, das ihre Verpächter extra zu diesem Zweck privat (!) ausgegeben hatten. Von diesem Scheingeld konnten sich die Schwarzen dann in den nahen Drug Stores, die ebenfalls in Händen ihrer weißen Verpächter waren, die Lebensmittel und Werkzeuge kaufen, die sie brauchten.
Dieses zynische System nannte man Sharecropping. Die schwarzen Sharecroppers häuften in der Regel sehr bald Schulden an. Schulden, die sich von Generation zu Generation bis weit in das 20. Jhdt. vererbten. Der berühmte Bluessänger und -gitarrist Muddy Waters kam in einer schäbigen Holzhütte auf der Plantage der weißen Familie Stovall zur Welt, und seine Geburt wurde im Haushaltsbuch vermerkt, zwischen Einträgen über Anschaffung von Vieh und Werkzeug.
Nach der Slaverei kam das Gesetz der Rassentrennung, das wir alle kennen, denn seine Auswirkungen reichen bis in unsere Lebenszeit. Während man zur schlimmsten Zeit der Sklaverei Schwarzen verbot, aus demselben Fabrikfenster zu blicken wie die Weißen (!), verbot man ihnen Mitte des 20. Jhtdts. noch, in denselben Bus zu steigen. Wer von den amerikanischen Schwarzen nach Abschaffung der Sklaverei als „freien Menschen“ sprechen möchte, muß sozusagen die gesamte gesellschaftliche Wirklichkeit ausblenden, in der sie lebten.
Und wer sich die Entwicklung der Lebensbedingungen der afroamerikanischen Schwarzen als einen linear fortlaufenden Entwicklungsprozeß vorstellt, der von schlimmen Bedingungen über viele Stufen der stetigen Verbesserung zum heutigenstatus quo verläuft, der irrt sich ebenfalls.
Thomas Jefferson, der 1776 die amerikanische Unabhängigkeitserklärung und mit ihr eine der ersten Versuche der Aufzeichnung von grundlegenden Menschenrechten formuliert hatte, kämpfte – anders als nach ihm Lincoln – aus Überzeugung für die Rechte der Sklaven. Erfolglos, weil ihm mächtige wirtschaftliche Gründe entgegenstanden. Und so war es immer. Profit besiegte Menschlichkeit spielend. Deswegen war das erste, wogegen man versuchte vorzugehen, nicht die Leibeigenschaft der bereits in den USA ansässigen Sklaven, sondern man versuchte ein Verbot des Sklavenhandels zu erreichen, der noch lange neue und immer neue Schiffe mit verschleppten Einwohnern der afrikanischen Westküste in die amerikanischen Häfen lockte.
1712 untersagte der Staat Pennsylvania als erster die „Einfuhr“ von afrikanischen Sklaven. 1735 zog Georgia nach und verbot zusätzlich auch Sklavenarbeit. 1750 kippten beide Gesetze wieder. 1755 wurde das Strafmaß für einen Mord an einem Sklaven wieder stark herabgesetzt, nachdem 1686 bereits die britischen Besatzer hierfür die Todesstrafe für jeden weißen Herren verankert hatten. Es blieb ein Hin und Her, und im Zentrum dieses Tauziehens stand der schwarze Mensch als bloße Arbeitskraft.
1787 gelang es Jefferson tatsächlich, eine zwanzigjährige Aussetzung des Sklavenhandels zu erreichen. Weil man aber wußte, daß nach Ablauf dieses Moratoriums ein endgültiges Verbot des Sklavenhandels und deutlich höhere Strafen im Gespräch waren, blühte der Sklavenhandel in den ersten Jahren des 19. Jhdts. noch einmal immens auf. Vor allem britische Sklavenhändler wurden steinreich in dieser Zeit. Nach 1808 kam es in etlichen Staaten tatsächlich zur vorübergehenden Abschaffung der Sklaverei. Viele Schwarze wurden in eine obskure Freiheit entlassen und versuchten sich selbständig zu machen. Allerdings wurden in dieser Zeit auch genau jene südlichen Staaten aus französischer oder spanischer Besatzung losgekauft und der Union angegliedert, in denen Sklavenarbeit wegen ihrer wirtschaftlichen Bedeutsamkeit nicht diskutierbar war. Damit war der Grundstein zum nachfolgenden Bürgerkrieg gelegt.
An dessen Ende stand das Versprechen, niedergelegt in den Field Orders des Union-Generals William Sherman vom Januar 1865. Nach dem Krieg erhalte jeder ehemalige Sklave Land von 40 Morgen Größe (ca. 160.000 m²) und dazu ein Maultier, um es zu bestellen. Ein Versprechen, das natürlich niemals eingelöst wurde. Die Sklaven wurden Sharecroppers, nicht Grundbesitzer.
Auf dem ersten Album der Band Gov´t Mule aus dem Jahr 1995 gibt es einen Song darüber, er heißt „Mule“ und hat den Refrain: „Where´s my mule, where´s my 40 acres?“
Die Regionen, aus denen afrikanische Menschen, vorwiegend natürlich Männer, zunächst nach Südamerika verschleppt wurden, um die dortige durch Krankheit und Tötung dezimierte indianische Bevölkerung aufzustocken, und danach eben auch nach Nordamerika in die von Engländern, Franzosen und Spaniern besetzten Territorien, sind so gut wie alle einem der heutigen Länder an der afrikanischen Westküste zuzuordnen. Vom Senegal bis in den Kongo erstreckte sich das Gebiet, das von Slavenhändlern aggressiv durchforstet wurde. Die heutigen Staaten Gambia, Guinea, Sierra Leone, Liberia und die Elfenbeinküste waren ebenso hart betroffen wie Ghana, Togo, der Benin, Nigeria, Kamerun und Gabun.
Wenn man sich die Zeichnung ansieht, die ein gewisser Captain Perry von einem typischen Sklavenschiff hat anfertigen lassen, wird einem schlecht angesichts der Bedingungen allein auch nur der Überfahrt. Die Todesraten waren hoch. Was die versklavten Menschen dann im Land der unbegrenzten Möglichkeiten erwartete, war ebenso hart. Ihr Leben, ihre Gesundheit, ihre körperliche Unversehrtheit waren ständig bedroht.
An dieser Stelle findet sich in Büchern über den Blues gewöhnlich immer dieselbe Aussage. Sie geht ungefähr wie folgt: Das einzige, was die Sklaven oft tun konnten, um sich zumindest geistig-seelisch etwas aus dieser Unerträglichkeit herauszuholen, war das Singen, das Musikmachen.
Man findet in der Fachliteratur häufig den Hinweis, daß es in den meisten westafrikanischen Sprachen um das Jahr 1900, als erste Feldstudien dazu betrieben wurden, kein Wort für „Musik“ existierte. Und man begründet das gern damit, daß in den Stammeskulturen Musik – ebenso wie Religion – ein so selbstverständlicher und von allem anderen ungeschiedener Bestandteil des alltäglichen Lebens gewesen sei, daß man dafür keine eigene Bezeichnung brauchte.
Daran ist etwas Richtiges, aber auch viel Folklore. Es setzt zudem voraus, daß die Sprachen aller Kulturen ungefähr gleich aufgebaut sind. Wir wollen dem nicht weiter nachgehen. Viel wichtiger wäre es, mehr über die konkrete Musik zu wissen, die in den Jahrhunderten vor dem afroamerikanischen Blues in Afrika gemacht wurde. Die ist verloren, denn es existierten keine Aufzeichnungen, bis Europäer in den ersten Jahrzehnten des 20. Jhdts. sich ans Notieren dessen gemacht haben, was sie da noch zu Ohren bekamen.
Der Rest ist schwach gestützte Spekulation. Einige Forscher davon aus, daß die stark ausdifferenzierte rhythmische Struktur in den Regenwäldern entstanden sein muß, wo man sich ausgehöhlter Baumstämme als Trommeln bediente. Das melodische Gerüst der afrikanischen Musik sei dagegen in der Savanne geformt worden, wo es beträchtliche arabische Einflüsse gegeben haben soll, welche sich u.a. in der Verwendung von unscharfen Tonhöhen niedergeschlagen habe, woraus später die für den Blues und Jazz so charakteristischen Blues Notes hervorgegangen seien.
Gehen wir, da es so wenig Gesichteres zu sagen gibt, lieber in die Baumwollplantagen des Mississippi-Deltas. Denn hier ist das entstanden, was wir heute Blues und Jazz nennen. Oder doch die Grundlagen dazu.
Wie auch immer die Songs ausgesehen haben mögen, die die Sklaven aus ihrer Heimat mitbrachten, im Delta wurden die Karten neu gemischt. Denn hier bestimmte nicht allein die afrikanische Tradition, sondern ebenso die sozialen Bedingungen der Arbeit und des Lebens sowie der Einfluß derjenigen Musik, die die Schwarzen von den europäischen Amerikanern hörten, was gesungen und gespielt wurde.
Bei der Arbeit auf den Feldern verständigte man sich sozusagen mit Gesang. Oder mit Vorformen davon. Man nennt sie Shouts oder auch Field Hollers. Mit Rufen, die aus einer kleinen, kurzen Tonfolge bestehen, übermittelte man auch beim Bäumefällen oder Kühehüten, was man von den andern wollte. Doch Holzfäller und Cowboys verwandten eine andere (angedeutete) Melodieform. Die Schwarzen auf den Baumwollfeldern riefen... irgendwie bluesig. Versnobte Europäer, die das hörten, sprachen abfällig vom „Negerjodeln“. So widerlich das klingt, es sagt auch etwas Richtiges, nämlich daß die Musikalität der Baumwoll-Hollers wesentlich ausgeprägter war als z.B. ein einfaches „Baum fääääällt!“
Worin bestand nun diese Musikalität? Erstens in einer längeren Tonfolge als bei den weißen Holzfällern und Cowboys. Und zweitens in einer sehr charakteristischen. Es wurden Töne gewählt, die sehr persönlich klangen. Und sehr stark emotional eingefärbt. Die Grundlage der afroamerikanischen Musik, aus der dann Blues und Jazz hervorgehen sollten, war das tonale System der sog. Pentatonik. Das ist ein recht einfaches, klar strukturiertes Tonsystem, das übrigens auch der keltischen, Teilen der arabischen und der fernostasiatischen „Volks“musik zugrunde liegt. Nach europäischen Maßstäben würde man von Moll-Pentatonik sprechen, also einer eher traurig oder zumindest doch in irgendeiner Weise „dunkel“ klingenden Tonreihe.
Das, was hinzugefügt wurde, sind die später so genannten Blue Notes. Es handelt sich dabei, technisch gesprochen, um so etwas ähnliches wie die kleine Terz, die kleine Septime und – besonders wichtig – die verminderte Quinte, engl. flattet fifth, in europäischer Bezeichnung auch als Tritonus bekannt. „So etwas ähnliches“, weil sie nicht rein klingen sollten, sondern die reinen Intervalle absichtlich verfehlt wurden. Dazu gleich mehr.
Diese Zusatztöne sorgten dafür, daß Gesang und Instrumentalspiel klagend klangen. Und damit etwas zum Ausdruck bringen konnten, was die Menschen fühlten in ihrer sorgenvollen Abhängigkeit, in der sie lebten. Als Hörbeispiel wollte ich einen sehr afrikanisch klingenden Song der Blues/Jazzsängerin Cassandra Wilson wählen. Sie hat ihn selbst geschrieben und alle Stimmen im Original von der 1993er LP „Blue Light ´til Dawn“ selbst eingesungen. Diese Version findet sich im Netz leider nicht, was aber auch wieder gut ist, denn es soll dazu anregen, das Album zu kaufen und in aller Ruhe diesen wundervollen Song zu hören.
Cassandra Wilsons LP „Blue Light ´til Dawn“ gehört ohnehin in jede Plattensammlung. In keinem anderen modernen Song wird m.M.n. so schön deutlich, was Blue Notes sind. Insbesondere der Refrainschluß mit den Worten „Sankofa flies again and again“ geht beim letzten „again“ nicht auf die Tonika zurück, sondern auf ungefähr den (Halb)Ton unter ihr, die Septe. Das klingt selbst für heutige Ohren sehr „afrikanisch“. „Sankofa“ ist übrigens der Name eines Vogels aus der westafrikanischen (Ghanaischen) Mythologie und Religion, der als mit rückwärtsgewandtem Kopf dargestellt wird, was darauf verweisen soll, daß Dinge aus der Vergangenheit abgeschlossen werden müssen, damit man wieder in die Zukunft gerichtet leben kann.
Die Blue Notes sind eingebunden in eine sehr einfache strukturbildende Kadenz. Diese Kadenz gibt es in nahezu jeder Musik auf der Welt. Sie ist auf den Tonstufen der Tonika, Subdominante und Dominante aufgebaut. Diese wiederum auf den Intervallen der Prime, Quarte und Quinte einer Tonleiter. Das ist eine ganz elementare musikalische Verlaufsform. In römischen Ziffern: I-IV-V-I. Sie bildet die Grundlage für nahezu alles, was wir heute an Musik (außer Free-Jazz oder Neuer Klassischer Musik) haben. Jeder kennt und erkennt sie, wenn er sie hört. Jeder erwartet sie im Grunde auch. Wir sind durch unsere Hörgewohnheiten darauf geprimt. Es gibt natürlich – namentlich im Jazz mit der berühmten II-V-I-Kadenz – noch viele andere Akkordfolgen, doch alle führen sie sich auf die Grundstruktur der harmonischen Funktionen Tonika-Subdominante-Dominante zurück. Man nennt das auch die Bluesformel.
In den meisten frühen Bluessongs werden diese drei harmonischen Funktionen auf 12 Takte verteilt. Vier Takte Tonika (Grundstufe), vier Takte Subdominante, dann je ein Takt Dominante, Subdominante, Tonika, Dominante/Tonika, und dann das Ganze von vorn. Es gibt unzählige Abwandlungen, wie die harmonischen Funktionen auf die Takte verteilt werden, naja, unzählige womöglich nicht, aber über 180 sind bereits eruiert worden. Dazu gibt es ungerade Taktzahlen, die die Querdenker unter den Bluesern wie Blind Lemon Jefferson oder John Lee Hooker verwendet haben.
Die Field Hollers waren also zur Verständigung gedacht oder zum Sich-Luft-Machen während der Arbeit draußen auf dem Feld. Sie wurden, als sie ad hoc weiter ausgearbeitet wurden, zu sog. Worksongs. Der andere Ort, an dem in der Gesellschaft der amerikanischen Schwarzen kurze Rufe ausgestossen und zum Anlaß sich daran anschließenden Musizierens genommen wurden, war die Kirche. Es wäre hier des Guten zuviel, sollte auch noch die Entstehung der afroamerikanischen Glaubensgemeinschaften dargestellt werden. Bekannt ist sicherlich, daß sie eine eigentümliche Mischung aus afrikanischen (auch musikalischen) Religionspraktiken und missoniertem christlichen Gedankengut und übrigens dadurch auch der europäischen Musik darstellten. In der Kirche spielten Gesang und sogar Tanz eine wesentliche Rolle im Ablauf des Gottesdienstes. Die Rufe, die hier erklangen, bezeichnet man gewöhnlich als Moans. Sie hatten etwas von tranceartiger Verzückung an sich, jedenfalls in den Augen der damaligen weißen Vorzeigechristen, denn musikalische Gottensdienste wurden von den Schwarzen bald auch im Freien abgehalten (Camp Meetings) und so natürlich auch genau registriert und kritisiert. Schließlich zum Teil verboten. Die Eingriffsmöglichkeiten in das Leben der Schwarzen waren unbegrenzt.
Das absolut basale Ordungsprinzip der schwarzen Musik war die sog. Call-Response-Form. Der gesungene Ruf eines Einzelnen wird erwidert und beantwortet durch die ebenfalls gesungenen Antwortrufe der Gemeinde. Das Ganze stark rhythmisiert und anfangs nur mit Perkussionsinstrumenten unterlegt. Das scheint die Frühform derjenigen Musik gewesen zu sein, aus der sich irgendwann Ende des 19. und Anfang des 20. Jhdts. Blues und Jazz und Soul entwickelt haben.
„Gestatten, mein Name ist Jelly Roll Morton und ich habe 1902 den Jazz erfunden.“ Das ist doch mal eine Art sich vorzustellen. Und das tat Jelly Roll Morton auch, sich mit einer bewundernswerten Hartnäckigkeit jeder Person, die er traf, genau so vorzustellen, bei allen möglichen und unmöglichen Begebenheiten, bis es beinahe lächerlich wurde. Er ließ sich seine vorgeblichen Meriten sogar auf seine Visitenkarten drucken. Dabei war Jelly Roll Morton im Grunde ein Ausnahmekünstler und wichtiger Pianist der entstehenden Jazzmusik. Besonders sein Improvisationstalent stach hervor und bildete in der Tat nach dem von vorn bis hinten durchkomponierten Ragtime, der ganz am Anfang des Jazz steht, ein wesentliches Merkmal all dessen, was danach kam.
New Orleans. Der Ort, der beinahe jedem in den Sinn kommen dürfte, wenn von den Wurzeln des Blues und Jazz die Rede ist. Zumindest für den Jazz war diese Stadt tatsächlich unerläßlich, denn hier sind gesellschaftliche Strömungen und stilistische Spielweisen aufeinandergetroffen, die andernorts in dieser Form nicht in vergleichbarer Intensität miteinander kommunizierten.
New Orleans, das auch im heutigen Amerika noch weitenteils auf eine halbfranzösische Weise ausgesprochen wird, gehörte erst den Spaniern und den Franzosen, bevor die Union es sich einverleibte. Besonders die Franzosen hatten in die neue Welt sehr viel von ihrer alten Musik mitgebracht. Es gab beständig Konzerte in der Stadt, auf dem Programm standen besonders häufig Werke der Herren Berlioz, Chopin und Liszt. Symphonische und Klaviermusik also. Dadurch, daß es einige Duzend Laienorchester unterschiedlicher Größe und unterschiedicher Qualität in New Orleans gab, sickerte die dichte, technisch anspruchsvolle europäische Musik des 19. Jahrhunderts, in etwas entstellter Form freilich, unmittelbar zu den autodidaktisch tätigen Hobbymusikern, von denen das gros Schwarze stellten. Sie arbeiteten auch oft als Musiklehrer der Weißen.
Es ist schwierig, die nun folgende Darstellung der schwarzen Bevölkerungsgruppen in der Stadt in einigermaßen glückliche Formulierungen zu packen. Manchmal gewinnt man als Leser von musikhistorischen Abhandlungen fast den Eindruck, hier würde über Hunderassen und nicht über Menschen gesprochen. Ich will deswegen etwas wagen und eigene Wortbildungen verwenden.
Als New Orleans noch unter spanischer oder später französischer Flagge segelte, wurden natürlich auch schon Sklaven gehalten. Diese Menschen hatten jedoch zumeist ein etwas anderes Schicksal als die oben beschriebenen, in den nordamerikanischen Bürgerkrieg involvierten Sklaven. Die Franzosen entließen viele ihrer Sklaven in die Freiheit, lange bevor die US-Amerikaner das im großen Stile taten. Die Sklaven unter französischer Herrschaft genossen durch Interaktion mit ihren Herren so etwas wie eine bereichsspezifische Bildung. Für die Musik bedeutet das, daß viele von ihnen Noten lesen konnten und so Zugang zu ganz anderer Musik besaßen als die komplett autodidaktischen „angloamerikanischen“ Schwarzen. Das gilt natürlich nur für die Städte New Orleans und Memphis, nicht für die ländlichen Regionen des Mississippi-Deltas.
Die ehemaligen Sklaven, die früher unter französischer Herrschaft standen, werden in der Literatur gern „Kreolen“ genannt. Ich mag das nicht und nenne sie „Les Miserables“. Die dunkelhäutigen Menschen, die bis zur nominellen Abschaffung der Sklaverei nach den Sezessionskriegen unter englischer/amerikanischer Herrschaft standen und die zumeist als die „afrikanischen Sklaven“ gekennzeichnet werden (was schon deshalb blödsinnig ist, weil natürlich auch die Vorfahren der „Kreolen“ aus Westafrika verschleppt und versklavt wurden), will ich „The Untouchables“ nennen.
Interessant ist nun das Zusammenleben dieser beiden schwarzen Bevölkerungsteile mit unterschiedlichem kulturellen Background. Die Miserables sahen wohl nicht selten sehr herab auf die Untouchables und inszenierten sich durch dandyhafte Kleidung, einen stark französisierten Dialekt und wirtschaftlichen Erfolg in Handel und Dienstleistung als die anpassungsfähigere Kaste, die eine große Nähe zur europäischen Kultur pflegte.
Und ebendieser „schwarzeninterne Klassenkampf“ wurde nach 1900 von den weißen Nordamerikanern mit Belustigung zur Kenntnis genommen und in den so genannten Minstrel Shows musikalisch parodiert. In Minstrel Shows traten als Schwarze verkleidete Weiße auf, und taten alles, die „Nigger“ durch Kleidung, Bewegung, Mimik, Sprache und Gesang vorzuführen und der Lächerlichkeit preiszugeben. Wie in der italienischen Comedia dell´Arte gab es ein Inventar an typisierten Figuren, die immer auftraten. Noch heute ist die Figur des Jim Crow ein Synonym für jene morbide Form des Rassenhasses.
Minstrel Shows waren ein überaus erfolgreiches Unterhaltungsformat dieser Zeit, um das sich heute sicherlich viele private Fernsehsender reissen würden. Das Tieftraurige an dieser Sache ist, daß irgendwann auch Schwarze als Schwarze in den Shows auftraten und sich selbst der Lächerlichkeit preisgaben. Allerdings entwickelte sich der Stil der unsäglichen Minstrel Shows immer mehr in Richtung Rockkonzert, es ging bald wirklich mehr um die Musik als um gesellschaftliche Aspekte.
Viele der frühesten Bluesmusiker und Bluessängerinnen traten in Minstrel Shows auf, um überhaupt ein Auskommen mit ihrer Kunst zu haben.
Zurück ins New Orleans des Ragtime und der vielen verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Im Amüsier-Viertel Storyville spielte man überall Musik. Besonders die Bordelle hatten hochrangige Musiker unter Vertrag. Die Kapellen und Orchester, die dort in großer Zahl ansässig waren, hatten besonders zwei Anlässe, sich staatstragend herauszuputzen. Beim Mardi Gras und bei den vielen Funerals. Beide „Events“ kennen wir heute noch aus Filmen. Oder meinen doch sie irgendwie zu kennen. Die etwas zu fröhlichen Leichenzüge, die dem im Gegenzug dann etwas zu ernsten Karneval im Delta kaum an gut getimter Ausgelassenheit nachstanden. Irgendwo war immer Party. Es gab regelrechte Wettbewerbe zwischen den Orchestern, welche Stunden dauern konnten. Sie hießen bereits damals Battle oder Contest. Entschieden wurden sie durch eine schöne Frau oder dadurch, daß ein Orchester vor Erschöpfung aufgab. Später duellierten sich die Instrumentalisten. Und zwar nicht allein mit ihren Instrumenten.
Noch von Dizzie Gillespie und Charlie „Bird“ Parker, den siamesischen Zwillingen, die um das Jahr 1940 im New Yorker Café Minton´s mit Charlie Christian und Thelonius Monk den Bebop aus der Taufe hoben, gibt es Geschichten von Prügeleien und Messerattacken. Manchmal reichte es schon, wenn jemand schlecht über ihre Musik sprach. Man stellt sich unter Jazzmusikern gern intellektuell verbrämte Frickelmeister vor, die vor lauter entlegenen Akkorden im Kopf zu blöd sind, sich an der Station eine Fahrkarte zu ziehen. Die gab es auch, aber selten unter den Größten, denen, für die Musik eine Sache auf Leben und Tod war.
Das Leben der Schwarzen blieb allein schon durch die geringen Aufstiegschancen stets gefährdet. Ihr Stellenwert im Blick der weißen Gesellschaft stets gering.
Bessie Smith wurde, als sie nach einem Unfall aus dem Autowrack geborgen war und zur Versorgung an den Strassenrand gebracht wurde, von einem vorbeirasenden LKW ein Arm geradezu abgetrennt. Sie verblutete schließlich und es halten sich bis heute Gerüchte, daß sie als Schwarze im Krankenhaus nicht die Versorgung erhielt, die ihrer lebensbedrohlichen Situation angemessen gewesen wäe. Andererseits wird heute noch ihr Sterbezimmer im „Riverside“ in Clarksdale vorgezeigt, an dem seit ihrem schmerzvollen Tod nichts mehr verändert worden sein soll.
Die größte Sängerin der 20er Jahre, Ethel Waters, verdankte ihre Existenz der Vergewaltigung ihrer Mutter, die diese als Dreizehnjährige mit einem Messer an der Kehle über sich ergehen lassen mußte. Lead Belly war im Gefängnis wegen Totschlags. Gut, und diverser anderer Delikte. Er kam vor allem nochmal frei, weil er einen Bluessong an den Gouverneur von Texas richtete. Bald war er aber wieder drin. Natürlich hatten Schwarze keine Lobby. Und Robert Johnson, das ist ja bekannt, wurde angeblich entweder von einem der vielen Männern, die von ihm gehörnt wurden, oder von einer der vielen Frauen, die von ihm betrogen wurden, ermordet. Wahlweise erschlagen oder vergiftet, immer schön gendergerecht.
Sie mögen früh gestorben sein, dafür hatten sie dann aber auch zuvor gelebt! Charley Patton zum Beispiel lebte genau das, was er sang und spielte. Und das war nicht wenig. In jeder Stadt besaß er seine „Korrespondentinnen“ und Patton machte seinen kleinen Charley überhaupt mit so ziemlich jeder Dame bekannt, die er zu Gesicht bekam. Bessie Smith bat gerne gleich Damen und Herrn gemeinschaftlich aufs Zimmer, und Robert Johnson hatte sich´s zur Masche gemacht, bei jedem seiner Auftritte eine Auserkorene gezielt anzusingen, so als ob er nur für sie spielte. Das soll so gut wie immer fuktioniert haben.
Es ging um Sex. Worum denn sonst? Das Wort „Jazz“ bezeichnete damals mit ziemlicher Sicherheit genau dasselbe, was im heutigen Pornochic „Jizz“ genannt wird. Sperma also. Rock und besonders Roll waren ebenso Ausdruck für dieselbe Sache. „Roll with me Henry“ sangen die Bluessängerinnen. Das wird der Henry sich nicht zweimal haben sagen lassen.
Man kann die Sache aber auch weit mehr aus der herablassenden Distanz betrachten. Im Standardwerk des italienischen Jazz-Kritikers Arrigo Polillo, das 1975 erstmals erschien, finden wir folgenden fragwürdigen Passus (den ich aus Gründen leichterer Lesbarkeit ein wenig umgestellt habe):
Zitat„Die uralte Gewohnheit des Geschlechtsverkehrs außerhalb einer Ehe wurde zur Sklavenzeit von den weißen Herrn gefördert, die recht froh waren, auf diese Weise die Vervielfältigung ihrer Arbeiterschar zu sehen. Das erklärt nicht nur die Zerbrechlichkeit der Negerfamilie, die vielen Fälle ehelicher Untreue und die hohe Prozentzahl außerehelicher Geburten, die immer noch in den Neger-Ghettos registriert wird. Das erklärt auch – wenn Geschlechtlichkeit von den Negern folglich als sozial anerkannt und wünschenswert verstanden wird – die unbefangene und für einen Weißen puritanischer Erziehung geradezu irritierende Offenheit, mit der sexuelle Themen in den Bluesstrophen behandelt werden.“
Tja, so ist er, der Neger. Ich würde es vielleicht dann doch lieber folgendermaßen ausdrücken wollen: Wenn man sonst nichts im Leben hat, weil Armut, Krankheit und soziale Barrieren die Lust am Leben einigermaßen vergällen – Sex tröstet und gibt neues Selbstbewußtsein. Ein Gefühl, daß man immer noch am Leben ist und nicht für alle Menschen bloß ein Niemand. Und das drückt man natürlich auch in seinen Songs aus, die man für die Familie und die Freunde spielt. Sex ist ja nicht allein im Text der meisten Bluessongs ein Thema, Sex ist der Rhythmus und die Darbietungsweise ist in ihren besten Augenblicken purer Sex. Und zum Glück!
Sex and Crime, sie hatten eine weitaus existenziellere Bedeutung in den alten Tagen, als die Mucke laufen lernte. Was schon bei Elvis oder Jagger zu einem verhältnismäßig billigen Abklatsch verkam und was heute vollständig zu einem Spiel mit abgekupfterten Posen degeneriert ist, das hat die Blueser und die Jazzer in einer ursprünglichen Erfahrung lang begleitet. Vielleicht ist deshalb auch so intensiv, was sie uns zu „erzählen“ haben. Sie saßen eben nicht in ihrer Villa und mußten sich das Hirn zermartern, wie sie jene Authentizität in Zukunft künstlich erzeugen konnten, die ihnen in den Anfangstagen ihrer Karriere einmal schnellen Erfolg und ungeheures Geld gebracht hatte. Überhaupt: Geld.
Schwarze Bluesmusiker wurden bis in die 80er Jahre von der Industrie im großen Stile übers Ohr gehauen. Viele waren noch oder wiederum arm, obwohl sie eigentlich berühmt waren. Das ist sicher auch ein Grund, warum so viele Blueser umso stolzer auf ihren Bekanntheitsstatus und ihren Stellenwert waren. B.B. King, der irgendwann nicht mehr arm war und der weinen mußte, als ihm zum ersten Mal ein zur Gänze aus Weißen bestehendes Auditorium zujubelte, hat mal gesagt: „Viele von den jungen Musikern sind gut. Sie spielen besser als ich. Aber ich bin der Bandleader. Ich bin der Boss.“
Das hatte er sich hart erarbeitet.
Zurück zum Jazz. Man kann zwar auflisten, welcher Stil im Zeitstrahl ungefähr auf welchen folgte, doch würde man damit immer das Nebeneinander, Ineinander vieler diverser Einflüsse und Stilmischungen herunterbrechen, die sich gegenseitig beeinflussten, ineinander aufgingen und die in regelmäßigen Abständen ihre Revivals erleben durften. Der Ragtime stand am Anfang, soviel ist klar. Er war extrem geprägt von weißer, europäischer Musik – klassischer und auch Volksmusik. Scott Joplin ist uns allen wieder ein Begriff, nachdem der Name für Jahrzehnte beinahe unbekannt geworden war.
In New Orleans kam es dann zur nachhaltigsten Begegnung von afrikanischer und europäisch geprägter Musikauffassung, und eben auch zu Battles of the Bands zwischen den „Miserables“ und den „Untouchables“, wie ich die unterschiedlichen Gruppen afrikanischer Abkunft in eigenwilliger Manier genannt habe. Aus dem, was weiße Bands von schwarzen Bands lernten, entwickelte sich Dixieland, eine um gerade die bluestypischsten Unsauberkeiten im Instrumentenspiel bereinigte Form der Ensemblemusik.
Als Storyville geschlossen wurde, gingen viele der New Orleans-Jazzer nach Chicago. Im Norden der USA metamorphisierte sich der Jazz wieder ein Stückchen weiter, denn weiße Studenten gingen daran, die Instrumentensoli immer weiter auszubauen und zu einem festen Bestandteil ihrer Songs zu machen. Vor allem aber war Chicago bald Hochburg des städtischen Blues, der mit elektrischen Gitarren statt der alten Holzkisten aus dem Delta aufwarten konnte und schärfer, lauter, ausgefuchster wurde.
Aus alledem ging dann der Swing hervor, der sich erstmals in allen Bevölkerungsschichten durchsetzte und eine riesige Modewelle auslöste. Weiße Ladies und schwarze Arbeiter tanzten zur selben Musik! Swing spielten die legendären älteren Jazzmusiker wie Louis Armstrong, Duke Ellington, Benny Goodman oder Bix Beiderbecke. Auch Jelly Roll Morton schloß sich noch mit seinen Red Hot Peppers an. Das ganze Land spielte und tanzte und hatte den Swing.
Drei Instrumente waren es, die schon in New Orleans den melodiösen Ton angaben: Trompete, Posaune und Klarinette. Mit ihnen realisierten die Bands über einem dichten Rhythmusgeflecht aus Schlagzeug, Bass, Klavier und Banjos oder akustischen Gitarren drei einander überlagernde und überkreuzende Melodielinien, die enorm Gesummse machten. Trompete, Posaune, Klarinette blieben die beliebtesten Soloinstrumente des Jazz, natürlich kam dann noch das Saxophon in allen Stimmlagen dazu. Und Mitte der 50er Jahre auch die endlich zufriedenstellend verstärkte Gitarre, die sich nunmehr gegen die Rhythmusgruppe und die andern Soloinstrumente durchzusetzen wußte.
Man liest es oft, daß William Handy mit seinem „Memphis Blues“ den Blues bekannt und salonfähig gemacht habe. Das ist Unsinn. Seine Stücke hießen zwar „Memphis-“ und „St. Louis Blues“, aber sie waren weit von dem entfernt, was zeitgleich so im delta ablief. Sie waren viel eher Tanzmusik, die weder den tiefen inneren Ausdruck des Delta-Blues noch überhaupt die Bluesform aufwies. Amerikas berühmtestes Tanzpaar bat Handy um immer weitere Kompositionen, und daher rührt vermutlich noch bis heute die zwiespältige Begrifflichkeit, daß man den Blues auch ohne Emotion und echten Groove auch tanzen kann.
Viel wäre noch zu schreiben über Spielweisen der schwarzen Musik. Über Riffs und Licks, über Breaks und Chops, über Synkopen und Off-Beats. Über Jazzer, die das Bluesschema zum Ausgangspunkt ihres Improvisierens machten. Doch das wäre zuviel des Guten.
Kehren wir zum Abschluß lieber noch zu einem Bluesmusiker zurück, der für viele der prototypische Bluesmusiker überhaupt geworden ist. Zu Robert Johnson. Ein Synonym des Blues. Wollte ich über ihn auch noch was schreiben, würde ich Threadseiten zu füllen haben. Ich möchte nur zwei Schallplatten zu ihm empfehlen.
In den Jahren 1961 und 1970 wurden erstmals gut ediert die Aufnahmen von den 29 Songs herausgebracht, die Johnson in den Jahren 1936 und 1937 in Hotelräumen in San Antonio und Dallas eingespielt und eingesungen hat. In einer Zimmerecke, vor einem Mikrophon, scheu und konzentriert über seine abgegrabbelte Akustikgitarre gebeugt. Diese beiden Langspielplatten waren es, die Johnson wieder ins Gedächtnis einer bluesinteressierten Öffentlichkeit zurückkatapultiert waren. Mit der ersten, der 61er LP haben Leute wie Eric Clapton, Keith Richards und Jimmy Page den Mann erst kennengelernt.
Die beiden Alben sind jüngst von der niederländischen Firma „Music on Vinyl“ neu remastered worden und herausgebracht. Sie klingen großartig. Die Jungs von „Music on Vinyl“ verstehen ihr Handwerk. Das Cover der 70er LP ist mit das schönste Cover, das ein Album je getragen hat. Es zeigt auf der Vorderseite Robert Johnson wie gerade beschrieben beim Musizieren in einem Zimmer und auf der Rückseite die beiden Toningenieure im benachbarten vor ihren Aufzeichnungsgeräten. Das Ganze ist gemalt. Ein Kabel verbindet die beiden Hotelräume und damit die beiden Seiten des Schallplattencovers.
Wenn Außerirdische in die undankbare Lage geraten sollten, den Planeten Erde nach Selbstabschaffung seiner Bewohner inspizieren und kapieren zu müssen, und sie fänden Tonträger und Abspielgeräte und könnten sich in die aus ihrer Sicht vermutlich primitive Funktionsweise dieser Gegenstände hineinversetzen – sie wüßten beim Abspielen eines Albums, was es mit dem seltsamen Wörtchen „Blues“ der Erdlinge auf sich gehabt haben mußte.
Dieses Album heißt „Singin´ the Blues“, ist Riley B. Kings erste Langspielplatte und versammelt seine bisherigen Hits der 50er Jahre. Und Blues Boy King war einer der ersten Bluesmusiker, die tatsächlich Hits hatten. Die Bandbreite ist umwerfend. Gesang und Gitarrenspiel sind es ebenfalls. Nach der Kompilation folgten viele Originalalben, von denen die mit einem Asterisk versehenen meiner bescheidenen Meinung nach von hoher bis höchster Qualität sind.
1957 – Singin´the Blues * 1958 – The Blues * 1959 – Sings Spirituals 1960 – King of the Blues * 1961 – My Kind of Blues * 1961 – More B.B. King * 1962 – Easy Listening Blues 1962 – Twist with B.B. King 1963 – B.B. King 1963 – Blues in my Heart *
Alle diese LPs erschienen beim ebenso berühmten wie berüchtigten Crown-Label. Heute sind sie auf Vinyl bei Waxtime wieder zu haben und hervorragend, wirklich außergewöhnlich gut remastered. Auf CD bekommt man die Originalalben bei Soul Jam Records, die die CD-Abteilung von Waxtime zu sein scheinen und dasselbe genußreiche Remastering aufzuweisen haben. Bei den CDs sind immer zwei Originalveröffentlichungen auf einer CD untergebracht. Plus einiger Bonus-Tracks. Die Anschaffung lohnt sich, weil man so die Schallplattengeschichte des imo größten Bluesers viel besser nachverfolgen kann als auf den Sammelalben, die die meisten uns im Regal stehen haben dürften.
Zurück zum ursprünglichen Hauslabel von B.B. King. Bei Crown hatten die Bihari-Brothers das Sagen. Vier gab es von ihnen, dazu noch einige Ehefrauen und Töchter, welche mit im Unternehmen herumwurschtelten. Leider zum Nachteil vieler ihrer Künstler. Denn es war nicht nur so, daß die Crown-LPs im Billigpreissegment in etwas hudeliger Aufmachung und Pressqualität erschienen. Weit schlimmer war das unverschämte Kreditierungsverfahren, das die Biharis sich erlaubten. Um bei jedem Song, der auf Crown erschien, zur Hälfte die Tantiemen (royalties) einzusacken, schrieben sie ganz frech im Urhebereintrag einen erfundenen Namen hinter den des ursprünglichen Komponisten. Drei der Biharis hatten feste Fiktivnamen („Jules Taub“, Sam Ling“ und „Joe Josea“), die den Songwriter Riley B. King kontinuierlich und mit Kalkül um die Hälfte seiner Einnahmen betrogen. King hat sich dazu später sehr deutlich geäußert.
Und als er sich sicher sein konnte, daß er ein Star war, wechselte er endlich die Plattenfirma. Es ging zunächst zu ABC, später zu MCA Records. Und hier entstanden die heute bekanntesten seiner Aufnahmen. „Live at the Regal“, zu dem man nichts mehr sagen muß, gar nichts mehr, und zwei exzellente Spät-Blues-Alben, voll von bewegendem und übrigens auch hervorragend auf Band gezeichnetem Gitarrenspiel sowie einigen neuen Ideen, etwa Funk-Bässen und, selbstverständlich, den Streichern bei dem notorischen „The thrill is gone“.
1965 – Live at the Regal 1969 – Live and Well 1970 – Completly Well
Zur Lebensgeschichte sei auf die beste Film-Dokumentation verwiesen, die es von einem Bluessänger gibt: „The Life of Riley“. Die werden viele von Euch sicher kennen. Der junge Riley verliert erst seine Mutter, dann seinen Vater und wächst bei der Großmutter auf. Bis auch die stirbt. Da ist Riley vierzehn. Er hilft früh bei harter Farmarbeit. Traktoren werden seine erste große Liebe, er steigt vom Plücker zum verhältnismäßig „gut“ bezahlten Traktorfahrer auf. Durch die Baptist Church inspiriert, spielt er Gitarre. Dann geht er nach Memphis... und damit nicht sogleich, aber doch mittelfristig in die Welt professionellen Musizierens.
B.B.s beste LP ist für mich „My Kind of Blues“. Es war auch sein eigenes Lieblingsalbum von ihm selbst. Hier fehlen Bläserarrangements, es ist sehr trocken aufgenommen und alles ganz konzentriert auf Schlagzeug, Bass, Klavier und Kings Gitarre und Gesang. Und er war ein ebenso großartiger Sänger wie Gitarrenspieler.
Nur ein paar wenige Worte. Ich liebe ihre Stimme am meisten unter allen Soul-Sängerinnen, und da Soulsängerinnen wohl die besten Stimmen überhaupt im Genrebereich dieses Threads hatten, ist sie ganz oben an der Spitze für mich. Diese Ausdrucksmacht, diese Beherrschung aller nur erdenklichen vokalen Mittel, diese Bandbreite an Emotionen sind einzigartig.
Ihren ersten gutdotierten Vertrag bekam Jamesetta Hawkins, wie sie eigentlich heißt, weil ihr Agent mit einem Plattenmogul im Auto unterwegs war und an der Raststätte in der Jukebox einen frühen Titel von Miss Hawkins wählte. Dem Mogul soll die Zigarre aus dem Mund gefallen sein und er meinte: „This girl certainly can sing. I want her.“
Von dem trotzigen „huum... huum“ auf „Anything to say you´ re mine“ bis zum gewalttätigen „I don´t want to... be your slave“ auf „I just wanna make love to you“ ist bereits alles auf ihrem ersten Album „At last“ von 1960, was sie so besonders gemacht hat. Dieses Album ist auch das, mit dem man starten sollte, wenn man sie noch kennenlernen möchte.
Seit Etta James beim Label Argo (einer Abteilung des berühmten Chess-Labels) unter Vertrag kam, ging es mit ihr steil bergauf. Ihre drei ersten LPs sind - mit Ausnahme einiger weniger wirklich etwas lächerlicher Songs, die dem Zeitgeschmack entsprangen und es heute zu umgehen gilt - von allererster Qualität.
1960 – At Last! 1961 – The Second Time Around 1962 – The Third Album
Danach muß man vor allen, allen Dingen „Tell Mama“ aus dem Jahr 1968 haben. Mitten in die Blütephase von Aretha Franklin und Nina Simone platzte Etta James mit einer Art Comeback-Platte, die die anderen großen, großen Damen sogar noch in Sachen Groove und Verve und Stimmigkeit des Gesamtkonzepts ein kleines Bißchen übertraf. In den Jahren zuvor und auch danach hatte Etta James immer wieder ihre Auszeiten vom Erfolgreichsein genommen, sie kümmerte sich lieber darum, daß ihr Privatleben so richtig vor die Hunde ging. Der Stimme hat das zunächst nicht geschadet.
1968 – Tell Mama
Zehn Jahre später war sie wieder da, mit einer highfidel aufgenommenen Soulscheibe, die dem damaligen Fusion-Boom Rechnung trug und doch so nah an den Wurzeln der schwarzen Musik war wie nichts anderes zu dieser Zeit. Ein Ensemble der besten Studiomusiker begleitete sie auf „Deep in the Night“, der einzigartige Jeff Porcaro am Schlagzeug, Chuck Rainey am Bass und Larry Carlton an der Rhythmusgitarre (!). Die Stimme klingt jetzt anders, älter und etwas gebrochener (obwohl Madame damals erst vierzig Jahre alt war), aber immer noch um alle Facetten bereichert, die das Leben und die Musik zu bieten haben, und noch einige mehr.
1978 – Deep in the Night
Wer Etta James auf ihren zweiten Album hört, begreift, weshalb die junge Adele mit 15, 16 Jahren nicht viel mehr getan hat, als in ihrem Jugendzimmer zu hocken und Platten von ihrer Lieblingssängerin nachzusingen. Adeles Gesang klingt exakt wie eine poppige Kopie der größten aller schwarzen Sängerinnen.
Um einen kleinen Beleg meiner exaltierten Hymnen zu Etta James nachzureichen, hier ausnahmsweise ein nachtmusikmäßiger link zu ihrem rockigsten Song, man muß es nur schaffen die schartigen Hausfrauenstimmen auszublenden, die sich im Refrain dazugesellen.
Was soll man über diesen Mann noch schreiben? Hagiografien? Analysen? Anekdötchen? Alles Unfug. Bleiben wir umgangssprachlich und prosaisch. Miles Davis ist für den Jazz, was Elvis, die Beatles und Led Zeppelin zusammen für die Rockmusik gewesen sind. Dieser Vergleich ist deshalb nicht vollkommen bescheuert, weil wohl kein zweiter Musiker so eine gewaltige Bandbreite an Entwicklung vorzuweisen hat. Zumindest in den Jahren 1955 bis 1975 war Miles Davis die Avantgarde und die Erfüllung, das Nonplusultra in der Jazzmusik.
Angefangen hat Davis als Hardbop-Trompeter in der Band von Charlie Parker. Komplizierte Mucke, viele Töne, schnelle Tempi. Ziemlich akademisch. Das war zu Beginn der 50er Jahre. Zur Mitte des Jahrzehnts war er durch Festivalauftritte plötzlich selbst als Bandleader bekannt. Sein Quartett setzte sich bald an die Spitze dessen, was im Jazz zu dieser Zeit los war, und Ende der 50er hatte er mit seinem Miles Davis Quintett (dem sog. Ersten Quintett) den Gipfel erklommen.
1950 – Birth of the Cool 1956 – Workin´/ Cookin´/ Steamin´/ Relaxin´ with the Miles Davis Quintet
Hier spielte Davis Unisono-Parts mit John Coltrane, einem jungen, wilden Saxophonspieler, der beim Publikum ob seines harten, ultraschnellen Spiels bis dahin kein besonders gutes Standing hatte. Doch solche Leute kamen Miles Davis gerade recht, er liebte eigenständige und poetische Mitspieler. Davis wies Coltrane in das avancierte Spiel ein, das er seit ein paar Jahren kultivierte, und gemeinsam taten sie die Türen auf für das, was sich später Free Jazz nannte.
1958 - ´Round about Midnight * 1958 – Milestones
Das Album „Kind of Blue“, beinahe komplett an lediglich zwei Sessiontagen improvisiert, ist bis heute die meistverkaufte Jazz-LP aller Zeiten und führt auch so gut wie jede Liste der besten Jazz-Alben aller Zeiten an. In jeder Hinsicht „ever“ also, wie man heute sagt.
„Kind of Blue“ ist eine sehr stille, unaufdringliche Platte, verglichen mit dem wuseligen Sound davor und eigentlich auch verglichen mit sonst vielem anderen im Jazz-Bereich. Miles und sein Saxophonist Coltrane gefallen sich im sog. Modalen Spiel, also dem Abdudeln von Skalen, anstatt, wie früher üblich, über vorgegebene Akkordfolgen zu improvisieren. Tonal ist das dadurch sehr offen, fast schon bezugslos für den normalen Hitparadenhörer. Doch ist es auch enorm melodisch und gestattet eine ungeahnte Intensität, eine Lust am Verweilen bei bestimmten muskalischen Stimmungen und Momenten. Trotz ihrer Komplexität scheint diese Musik bis heute viele Leute zu berühren. Sie hat etwas auszusagen.
1959 – Kind of Blue * 1960 – Sketches of Spain *
Damit sind wir beim Kern dessen, was Miles Davis immer ausgemacht hat. Konzentration, Ernsthaftigkeit, Sensibilität. Er war einer der verwundbarsten Musiker im Rampenlicht, und zog sich deshalb abwechselnd entweder in die innere Emigration oder in die Aggression nach außen zurück. Er spielte mit dem Rücken zum Publikum, weil er die dämlichen Gesichter nicht mehr sehen wollte. Er schimpfte über andere Musiker öffentlich in übelster Kaffeeklatschmanier, was ihm hinterher regelmäßig leid tat. Er verfluchte die Weißen und inszenierte sich mentorhaft als Messias der schwarzen Bevölkerung. Miles Davis war wohl ein schwieriger Mensch.
Und dann diese Verwundbarkeit. Diese zarte gestopfte Trompete, die er wegen des Dämpfers ganz nah ans Aufnahmemikrophon heranbringen konnte, um ihr so jede Ausdrucksnuance zu entlocken, die das Instrument nur hergibt. Meditativ und expressiv zugleich. Und immer ganz besonders eines: innovativ.
In den 60er Jahren stellte er sein Zweites Quintett zusammen, mit Wayne Shorter am Saxophon und Herbie Hancock am Piano. Und der womöglich besten Rhythmusgruppe, die es jemals gab: Ron Carter und Tony Williams. Sie groovten wie die Wildeber und loteten die Grenzen des tonal noch Machbaren weiter aus, und im Jahr 1969 wurde Miles elektrisch. Seine Freundin hatte ihn auf einen gewissen Jimi Hendrix aufmerksam gemacht, der ihn denn auch sofort beeindruckt hatte, und Miles nahm ein Mikro, einen Verstärker, hing zwischen beide ein Hendrix´sches Wah-Wah-Pedal und verließ den akustischen Jazz für ein paar Jahre.
1966 – Miles Smiles
Unnötig zu erwähnen, daß das, was dann zu hören war, die Welt der Zuhörer und Kenner spaltete. Ein Keyboardspieler namens Chick Corea brachte Synthiesounds ins Spiel und ein Schlagzeuger namens Billy Cobham sorgte für das ethnisch korrekte Perkussionsgerüst, das Miles immer mehr am Herzen lag. Archaische afrikanische Rhythmen. Ein junger Gitarrist mit Namen John McLaughlin, der bereits Europa aufgemischt hatte, wurde dazugebeten und es entstanden mit „Silent Way“, „Bitches Brew“, „Live-Evil“ und schließlich „On the Corner“ die wohl schönsten und wichtigsten LPs, die Rock und Jazz jemals verbunden haben. Obwohl man auch der Ansicht sein kann, daß das purer Jazz ganz ohne Rock ist.
1969 – In a Silent Way 1970 – Bitches Brew 1971 – Live-Evil 1972 – On the Corner *
Ich möchte ganz besonders „Bitches Brew“ empfehlen, der Schallplatte, die auf mich in meinem Leben mit den größten Eindruck gemacht hat. Wie sich hier eine Musik aus dem Nichts entwickelt, nur aus spärlichsten Vorgaben des Bandleaders, das ist (für mich) bis auf die Platten Eric Dolphys und Charles Mingus´ ohne jedes Beispiel in der Geschichte der Improvisation. Das in einem Rutsch eingespielte Material wurde von Davis´ langjährigem Aufnahmeleiter Teo Macero dann im Tonstudio zurechtgeschnitten, wodurch ein Teil der Songstruktur ohne Instrument am Mischpult geschaffen wurde. Die Beatles lassen grüßen. Gewagt und abgefahren war die Doppelbesetzung vieler Instrumente auf den Scheiben des elektrischen Miles. Zwei Schlagzeuger, zwei Bässe, zwei Keyboards (oder gar drei), dazu Gitarre, Saxophon und hin und wieder auch Davis´ Trompete. Was man damit so alles anstellen, welche Wege man musikalisch gehen konnte, das verschlägt einem auch heute noch komplett die Sprache.
Nach 1972 machte Davis erstmal etliche Jahre Pause, es erscheinen keine Studioaufnahmen mehr von ihm. Dann kommen Platten, die den Jazzfreund mit Grausen erfüllen. Einzig das Album „Tutu“ kann man noch halbwegs hören, wenngleich hier der Massenkompatibilität schon arger Vorschub geleistet worden ist und die auf gute Konsumierbarkeit getrimmte Musik nichts vergleichbar Originelles mehr an sich hat, wie in den 50er, 60er und 70er Jahren.
1986 – Tutu *
Miles Davis beschäftigte sich jetzt mit Michael Jackson und mit Cindy Lauper, so wie er sich zuvor mit Hendrix und Zappa befasst hatte. Den absoluten Tiefpunkt bildet dann 1991 seine letzte LP „Doo-Bop“, ein verzweifeltes Heranwanzen an den aktuellen Hip-Hop, den er doch selbst zuvor mit dem genialen „On the Corner“ beinahe im Alleingang inklusive Funk und Electronic aus der Taufe gehoben hatte.
Miles Davis wird immer einer der innovativsten und geehrtesten Jazz-Musiker bleiben. Er war derjenige, der der schwarzen Musik und den schwarzen Musikern zu wirklich gleichberechtigtem Ansehen verholfen hat, und mit ihm war erstmals in der Geschichte des Jazz der erfolgreichste und bestbezahlte Musiker kein Weißer mehr.
[Mit einem * versehene LPs sind für Jazz-Neulinge besonders geeignet ]
Tja mein lieber Wetterstrahl , erst mal ein staunendes Wow. So etwas nennt man in der Regel nicht Post oder Thread , so etwas nennt man " Werk". "Werk " bezieht sich dabei auf beides , auf " Hand " und " Kunst " Handwerk allein weil du dir sicherlich einige Stunden deiner Freizeit dafür beschnitten hast um uns dies nun zu präsentieren und Kunstwerk weil deine Art dies zu tun sicherlich nicht jedem gelungen wäre .
Mir auf keinem Fall.
Es handelt sich hier , aus meiner Sicht aber noch um ein anderes Werk....
Um ein Werk des Wissens.
Das drückt ein wenig .
Es erinnert halt an ein Essay das man als solches unberührt lassen sollte um nicht Gefahr zu laufen da etwas kaputt zu machen .
Wie Porzellan in der Vitrine das man betrachtet aber scheut zu berühren.
Das aber soll so nicht sein. Ich denke nicht das dein Ansinnen war und insofern mache ich jetzt als erster den " Elefanten " in der Hoffnung das da noch einige sich trauen.
Du musst mir verzeihen das ich nicht in der Historie beginne , ich hab da auch einfach nicht das Wissen...
Ich beginne mit....
Joe Louis Walker . Viele halten ihn für " kitschig " und nicht würdig unter den zu benennden der Blues Historie . Ich seh das mal wieder ganz anders. ; )
Bei meinem letzten Versuch etwas zu Posten hab ich einen ewig langen Text verfasst aus welchem Grund die Blechbläser mir beim Jazz nur wenig gefallen . Als ich diesen dann fertig glaubte teilte mir die Internetverbindung mit das die Mühe umsonst war. Hmm , ich will es aber zusammenfassen mit den Worten " es wird mir oft zu wirr und zu aggressiv "
Es gibt da natürlich Ausnahmen die jeder kennt , ich bleib aber in meiner beliebten Form.
Als Beispiel hier.... Uri Caine & Masada String Trio - Jazz in Marciac
Ich erinnere mich noch wie wichtig damals Batterien waren , heutzutage kann man sich das gar nicht mehr vorstellen , eine unsere größten Investitionen bei einer Reise durch die Welt (Spanien und Frankreich ) waren die verkackten Monozellen um Stereo zu hören.
Bei einer diesen Reisen spielte Klaus Doldinger eine wichtige Rolle....