RE: Welcome Refugees

#26 | RE: Welcome Refugees datum

07.07.2016 01:12

Zitat von Anno2016
Hallo???? Gibt es einen anderen link? Mich interessiert das. Das kann doch net so schwer sein.
Don Camillo, du warst es doch oder tu ich dir unrecht? Wenn nicht gib mal einen anderen link preis. Danke.

Hi Bischof,

ich weiß natürlich nicht, aus welchem Grund Du insistierst, über diese Sache mehr zu erfahren. Ich hoffe nur, daß es nicht Voyeurismus ist. Das nehme ich aber natürlich erstmal auch nicht an. Deswegen eine Antwort.

Am Beitrag des Users Don Camillo war eigentlich so gut wie jedes einzelne Zeichen funktionsgestört. Da nimmt es nicht wunder, wenn auch der link nichts taugt.

Die betroffene Frau ist nicht Grünen-Politikerin, sondern in der Jungen Linken aktiv. Ihr Name lautet Selin Gören. Mit dieser Information wirst Du selbst im Internet fündig werden.

Ich möchte aber doch - so nüchtern wie möglich - hier kurz die Fakten zusammenfassen. Der Grund wird gleich ersichtlich. Ich möchte nämlich anschließend die Berichterstattung und das "Interesse" an diesem Fall einer Bewertung unterziehen. Einer Bewertung, an der mir sehr gelegen ist.

Frau Gören ist 24 Jahre alt und engagiert sich sehr für Flüchtlingshilfe. In Mannheim wurde sie auf einem Kinderspielplatz von drei Männern vergewaltigt, welche offenbar erst vor Kurzem in die Bundesrepublik Deutschland eingereist waren. Man wird sie (unscharf, wie der Begriff nun einmal ist) als sog. Flüchtlinge bezeichnen können. Als Frau Gören nach dem Vorfall die Polizei aufsuchte, gab sie an, die Männer hätten Deutsch gesprochen. Nun hat sie diese Aussage revidiert. Und sich schließlich in einem offenen Brief zu ihrer mehrfach potenzierten Problematik geäußert, mit sie umzugehen hat.

Ich habe nicht lang durchgehalten bei meiner Sichtung der Artikel, die im Netz zu diesem Fall verbreitet sind. Am ekelerregendsten war einer aus dem berüchtigten Kopp Verlag. Ich konnte ihn nur überfliegen, doch das reichte. Auch andernorts macht man sich her über die zunächst erfolgte Falschaussage von Frau Gören. Die Palette der Stimmen reicht von kritisch über höhnisch und herabsetzend bis zu verleumderisch entwürdigend. Natürlich ist das Paradox, dem Frau Gören sich ausgesetzt sah und dessentwegen sie zunächst fehlreagierte, der Zielpunkt aller Attacken. Der Tatsache, daß sie, die sich für Flüchtlinge stark gemacht hat, Opfer dreier (und das ist ganz wichtig: dreier!) Flüchtlinge geworden ist.

Ich kann nur sagen, daß mich das beinahe sprachlos macht. Was geht in Menschen vor, die im bequemen Schreibtischstuhl aus der Verzweiflung und Verwundung eines Menschen, der sich auf gewaltätigste Weise in ein Paradox der Empfindungen und Gedanken geschleudert sah, noch Kapital für ihr schäbiges, kontextreduziertes Anliegen zu ziehen versuchen? Wie kann man so tief sinken? Wie kann man diesen Menschen, der doch schon so sehr verletzt wurde, wie er nur verletzt werden konnte, wie kann man Frau Gören einer solchen neuerlichen Erniedrigung unterziehen?

In der Psychologie sprechen wir von einer so genannten Theory of Mind. Damit gemeint ist die Fähigkeit, sich in die Perspektive und Gefühlslage eines anderen Menschen hineinzuversetzen. Eine Fähigkeit, die Kleinkinder mit der Zeit bereits erwerben sollten, um sozialfähig zu werden. In den USA ist es seit Langem üblich, daß Polizeipsychologen (wenn sie das seltene Glück bekommen, mit einem empfindungslosen, in seiner Persönlichkeitsstruktur gestörten Täter unterhandeln zu können, während das Opfer noch am Leben ist) immer wieder den Namen des Opfers nennen und auf bestimmte Lebewesenmerkmale verweisen. Damit man es dem Täter etwas schwerer macht, sein Opfer als Ding betrachten zu können. Im Film "Das Schweigen der Lämmer" wurde dieses Vorgehen zum ersten Mal und gleich sehr, sehr gut dargestellt.

An alle, deren Gerechtigkeitsempfinden nun vielleicht angesichts der Falschaussage von Frau Gören und all der angeschlossenen Implikationen zu frohlocken beginnt: Die Frau heißt Selin Gören. Sie ist 24 Jahre alt und engagiert sich in unserer Gesellschaft. Selin Gören versucht, mit ihrer Arbeit unserer gesamten Gesellschaft zu helfen. Frau Gören tut etwas, sie sitzt nicht bloß da und schwingt große Reden. Selin Gören ist etwas zugefügt worden, was sich die meisten von uns (nicht allein, weil die meisten von uns Männer sind) nicht richtig vorstellen können. Frau Gören hat versucht, damit auf eine Weise umzugehen, die sie nicht vollends vor und in ihr selbst zerstören würde. Das war unmittelbar nach der Tat. Vielen Vergewaltigungsopfern passieren ähnliche Kurzschlußhandlungen. Das kann in der Fachliteratur nachgelesen werden. Frau Gören hat in ihrem offenen Brief hervorgehoben, daß sie die Debatte, welche ohnehin schon in einem kaum noch zu überbietenden Maße der Simplifizierung stattfindet, nicht mit Munition befeuern wollte, die sie jeden Tag in ihrer Arbeit als vernichtend für unzählige Unschuldige, Unbeteiligte erlebt.

Ich bin zwar kein medizinischer Psychologe, aber ich habe u.a. Kognitive Psychologie studiert und ich kann nicht erkennen, daß Selin Gören Aspekte der Realität leugnet, die ihr gerade begegnet und zuvor begegnet ist. Allein das ist schon eine Leistung in ihrer Situation. Doch sie versucht noch mehr, Frau Gören versucht, auch noch allen Akteuren so gerecht wie irgend möglich zu werden. Erst wollte sie jemanden schützen. Das waren selbstverständlich nicht die Täter, das war auch nicht ihr Selbstbild. Das waren die ungezählten Flüchtlinge, die niemals eine solche Straftat begehen würden. Denn Frau Gören wußte aus ihrer Arbeit sicher nur zu gut, wie verhängnisvoll diese mitbetroffen sein würden. Dann hat Selin Gören ihre Aussage revidiert. Damit hat sie versucht, nicht nur dem eigentlichen Tathergang, sondern auch dem Rechtsstaat und mittelbar der gesamten Bürgerschaft des Landes gerecht zu werden.

Wenn man mich fragt, dann ist Frau Gören eine Heldin, die nicht allein in ihrer Arbeit, sondern nun auch tief in ihrer Person den Kampf austrägt, für den die meisten von uns anderen zu faul und zu feige sind. Den Kampf gegen Vereinfachung und Vereinheitlichung, gegen eine Positionierung aus persönlicher Betroffenheit und gegen - jawohl - Ungerechtigkeit. Daß sie sich dabei selbst nicht scheute, (in vergleichsweise leichtem Maße) Unrecht zu tun, zeugt für die Ernsthaftigkeit, mit der sie kämpft, und ihre Revision ihrer ersten Aussage für einen umwerfenden Mut, allem und allen zugleich die Stirn zu bieten.

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